„Wie lange willst du noch arbeiten?“: Altersgerechtes Arbeiten in der Pflege braucht offene Gespräche und flexible Lösungen

30.05.2025

Um die letzten Arbeitsjahre in der Pflege zu gestalten, kommt es vor allem auf eines an: offene und ehrliche Gespräche zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Nur so können individuelle Lösungen gefunden werden.

Pflegekräfte bleiben gerne im Beruf – aber oft können sie es nicht. Im BKG-Webinar „Altersgerechtes Arbeiten im Krankenhaus“ wurde klar: Wer Beschäftigte länger im Beruf halten möchte, muss zuhören, verstehen und Strukturen schaffen, die genau das ermöglichen. Die Berliner Krankenhausgesellschaft und die Kampagne #PflegeJetztBerlin haben dafür Impulse aus Wissenschaft und Praxis zusammengebracht.

Pflegekräfte wollen bleiben – wenn die Bedingungen stimmen

„Wie lange willst du noch arbeiten? Und unter welchen Bedingungen würdest du gerne länger bleiben?“ Fragen, die im Berufsalltag selten offen gestellt werden. Dabei sind sie entscheidend für die Zukunft der Pflege. Beim Webinar der Berliner Krankenhausgesellschaft am 20. Mai 2025 drehte sich alles um das Thema altersgerechtes Arbeiten in der Pflege. Die rund 30 Teilnehmenden erhielten Einblicke aus Wissenschaft und Praxis und diskutierten, wie eine Kultur geschaffen werden kann, in der längeres Arbeiten tatsächlich möglich ist.

„Ich würde gern länger arbeiten – aber es geht einfach nicht.“

Prof. Dr. Hans Martin Hasselhorn, Arbeitsmediziner und Leiter der lidA-Studie („leben in der Arbeit“) der Bergischen Universität Wuppertal, lieferte mit seiner Forschung den analytischen Rahmen: Die Mehrheit der Pflegekräfte schätzt ihre Arbeit, doch ein großer Teil kann sich das Arbeiten bis zur Regelaltersgrenze nicht vorstellen – gesundheitlich, körperlich und/oder mental.

Laut der lidA-Studie ist die Krankenpflege eine der Berufsgruppen mit dem höchsten Anteil an Personen, die sich den Verbleib in der Arbeit bis zum 65. Lebensjahr nicht zutraut. Und obwohl viele unter bestimmten Voraussetzungen länger arbeiten würden, fehlt es häufig an Raum und Struktur für diese Gespräche. „Im Betrieb herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit“, so Hasselhorn. Das bedeutet, die Frage, wie lange jemand arbeiten möchte oder kann, werde oft nicht gestellt. Dabei stellt ausgerechnet diese Berufsgruppe eine große Ressource dar – denn sie zeichnet sich durch die stärkste Verbundenheit mit ihrem Beruf aus.

Gute Lösungen beginnen mit einem offenen Gespräch

Dass es auch anders geht, zeigte Corinna Schwarzer, Bereichsleitung im Pflegedienst im Vivantes-Klinikum im Friedrichshain. Sie gab Einblicke aus der Praxis: Flexible Dienstpläne, altersgerechte Aufgabenverteilung, Buddy-Systeme zur Wissensweitergabe. Es gibt oft einfache, aber wirkungsvolle Maßnahmen, die älteren Beschäftigten das Arbeiten erleichtern. Entscheidend sei vor allem eines: das Gespräch. „Wer fragt, gewinnt“, so Schwarzer. Altersgerechtes Arbeiten lasse sich nur gestalten, wenn individuelle Bedürfnisse ernst genommen und strukturell unterstützt werden.

Ein Beispiel: Eine ältere Pflegekraft erklärt in einem Gespräch mit der Führungskraft, sie würde aufgrund von Rückenschmerzen die körperlichen Aufgaben des Pflegealltags nicht mehr ausführen können – möchte aber gerne die letzten Jahre bis zur Rente im Beruf bleiben. Eine Lösung könnte in diesem individuellen Fall sein, dass die Pflegekraft weniger Nachtdienste übernimmt und die körperliche Belastung reduziert, in dem sie Berufsanfänger/-innen einarbeitet und ihr Wissen und ihre jahrelange Berufserfahrung an die junge Generation weitergibt.

Herausforderungen bei der Umsetzung im Klinikalltag

In der Diskussion wurde deutlich: Der Wille und das Engagement zu mehr altersgerechter Gestaltung sind in vielen Häusern vorhanden. Doch der Alltag bringt Hürden mit sich: konkrete Fragen zu Renteneintritt, Teilzeitwünschen oder steuerlichen Auswirkungen werden oft erst spät gestellt. Gleichzeitig können Spannungen im Team entstehen – besonders wenn verschiedene Generationen in einem Team gemeinsam arbeiten. Damit gute Ansätze nicht im Alltag untergehen, braucht es feste Strukturen, klare Kommunikation und eine Teamkultur, die Rücksicht nicht als Belastung, sondern als Bereicherung versteht.

Projekt „Weitblick“: Altersgerechte Arbeit im Stationsalltag integrieren

Mit dem Projekt „Weitblick“, das Prof. Hasselhorn gemeinsam mit dem Deutschen Krankenhausinstitut durchführt, sollen genau diesen strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. In Dualen Coachings werden Pflegekräfte und Führungskräfte gezielt geschult, sensibilisiert und in einen strukturierten Austausch gebracht. Ziel ist es, Materialien und Methoden zu entwickeln, mit denen Krankenhäuser solche Workshops dauerhaft selbst umsetzen können. Erste Erfahrungen zeigen: Wenn ein Raum für ehrliche Gespräche entsteht, öffnen sich Beschäftigte und sind motivierter, im Beruf zu bleiben.

Gut arbeiten – bis zum Schluss

Das Fazit des Webinars: Altersgerechte Arbeitsgestaltung ist kein Nebenthema, sondern ein zentraler Baustein für nachhaltige Personalbindung im Krankenhaus – gerade in der Pflege. Es geht nicht nur um ergonomische Maßnahmen, sondern um Kommunikation, Führungskultur und eine bewusste und wertschätzende Gestaltung der letzten Berufsjahre.


Wir hätten da noch gern gewusst …

4 Fragen an … Prof. Dr. Hans Martin Hasselhorn

Welche Erkenntnisse aus dem Projekt „Weitblick“ haben Sie persönlich am meisten überrascht und beeindruckt?

„Im Forschungsprojekt ‚Weitblick‘ führen wir gemeinsam mit dem Deutschen Krankenhausinstitut Workshops für Pflegepersonal über 50 Jahre und Workshops für deren Führungskräfte in Krankenhäusern durch. Dabei geht es um die Ausgestaltung der letzten Arbeitsjahre. Ziel ist, die Motivation, Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu verbessern und damit auch die Bindung an den Beruf und an die Einrichtung zu stärken. Im Zuge von Workshops und Einzelgesprächen werden die letzten Arbeitsjahre der Beschäftigten thematisiert. Am meisten überrascht hat mich, dass viele ältere Pflegende es nicht gewohnt waren, ihre letzten Arbeitsjahre und deren positive Ausgestaltung zu thematisieren. Für viele Menschen scheinen die letzten Arbeitsjahre eher ein Übergang zu sein und nicht etwa vor allem wertvolle Lebensjahre.“

Wo sehen Sie das Thema „altersgerechtes Arbeiten in der Pflege“ in fünf Jahren – optimistisch betrachtet?

„Im Gegensatz zu manch anderen Berufsgruppen ist der Mangel an Fachkräften in der Pflege besonders hoch. Und der Mangel wird ja noch zunehmen. Dies führt dazu, dass mehr auf die Beschäftigten zugegangen wird, und das ist gut so. Viele Beispiele aus den Krankenhäusern zeigen ja, dass dies gut funktioniert, andere Häuser haben da Nachholbedarf. Wer wirklich will, dass seine Beschäftigten länger im Unternehmen bleiben, muss dafür sorgen, dass die Arbeit gut für sie ist. Und das ist bei jedem und jeder Beschäftigten anders.“

Wenn Sie eine Maßnahme sofort flächendeckend einführen könnten, um älteren Pflegekräften das Arbeiten zu erleichtern: Welche wäre das?

„Ich würde jährlich ‚Zukunftsgespräche‘ zwischen allen Mitarbeitenden ab dem Alter von 55 Jahren und ihren Vorgesetzten einführen. Dabei soll es dann um die Ausgestaltung der letzten Arbeitsjahre gehen, um Wünsche, Pläne, Befürchtungen und um Maßnahmen, damit es allen besser geht. So entsteht ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis und die Pflegenden sehen, dass sich oft auch etwas tut, wenn’s klemmt. Wir haben hierzu einen originellen und gut verständlichen Leitfaden erstellt, der in Kürze online bei uns verfügbar sein wird.“

Gibt es einen Aspekt beim Thema „altersgerechtes Arbeiten“, der Ihrer Meinung nach in der öffentlichen Debatte zu kurz kommt?

„Ja, wir reden immer von ‚gesund arbeiten bis zur Rente‘. Für die meisten ist das aber ein Wunschtraum – auch in anderen Berufen, denn mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen spüren in ihren letzten Erwerbsjahren bereits gesundheitliche Einschränkungen. Die Kunst ist es, es diesen Menschen zu ermöglichen, auch mit diesen Einschränkungen gut und zufrieden erwerbstätig zu sein. Das stellt hohe Anforderungen an die Führung, aber der Aufwand lohnt sich für alle.“


3 Fragen an … Corinna Schwarzer

Frau Schwarzer, was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal die Zahlen aus der lidA-Studie gesehen haben? Spiegelt das Ihre Erfahrungen – oder erleben Sie etwas anderes?

„Einige Entwicklungen kenne ich aus dem eigenen Berufsalltag – doch sie zeigen nicht nur Herausforderungen. Ich erlebe, dass Kolleginnen und Kollegen auch nach dem Rentenalter weiterarbeiten möchten. Wichtig ist ihnen vor allem, selbst mitentscheiden können: Wie lange, in welchem Umfang, unter welchen Bedingungen. Flexibilität und Selbstbestimmung spielen dabei eine zentrale Rolle. Genau hier sollte man ansetzen – es braucht Rahmenbedingungen, die solche individuellen Lösungen möglich machen aktiv unterstützen.“

Wie gehen Sie im Alltag mit älteren Mitarbeitenden um, die vielleicht körperlich nicht mehr alles leisten können – fachlich aber sehr stark sind?

„Ältere Mitarbeitende sind eine echte Bereicherung – fachlich stark, klar in ihrer Haltung und wichtig für den Zusammenhalt im Team. Natürlich gibt es körperliche Grenzen, das ist ganz normal. Entscheidend ist, offen darüber zu sprechen und gemeinsam nach passenden Lösungen zu suchen. Es geht darum, Kompromisse zu finden und auch mal loszulassen – auf beiden Seiten. So entsteht ein Miteinander, das von Respekt und Vertrauen lebt.“

Welchen Ratschlag würden Sie einer jungen Führungskraft geben, das zum ersten Mal mit einem Pflegeteam aus verschiedenen Generationen arbeitet?

„Zuhören, neugierig bleiben und die Vielfalt im Team als Stärke begreifen. Unterschiedliche Generationen bringen unterschiedliche Perspektiven, Erwartungen und Kompetenzen mit. Wichtig ist dabei, nicht vorschnell zu bewerten, sondern neutral zu bleiben und Themen im Team offen anzusprechen. Wer Raum für Austausch schafft, fördert ein Miteinander, in dem jede/-r dem anderen etwas gönnt – und in dem gegenseitigen Respekt ganz selbstverständlich ist.“