Medizinisches Fachwissen aus der Ukraine für Berlin und Brandenburg: Wie funktioniert medizinische Versorgung in Krankenhäusern unter Kriegsbedingungen?

Die Berliner Krankenhausgesellschaft lud gestern gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zum ersten exklusiven Erfahrungsaustausch mit der Ukraine zur medizinischen Versorgung in Krankenhäusern unter Kriegsbedingungen ins Bundeswehrkrankenhaus Berlin ein.

Ziel der Fachveranstaltung für Expertinnen und Experten der Gesundheitsversorgung war es, Erfahrungen aus der Ukraine fruchtbar zu machen für die Entwicklung der Krisentauglichkeit der Versorgung in Berlin und Brandenburg. Eine Delegation ukrainischer Ärztinnen und Ärzte diskutierte mit den Anwesenden neben medizinischen Fragen Aspekte der Personal- und Sachmittelsicherung sowie der Anschlussversorgung in der Rehabilitation. Der Austausch mit der ukrainischen Delegation bestätigte: käme es beispielsweise im NATO-Bündnisfall zur medizinischen Versorgung von Soldatinnen und Soldaten in Deutschland und damit zu einer Mehrbelastung des Gesundheitssystems, müssen im Vorfeld klare Prozessabläufe, Ressourcenklärungen und Zuständigkeiten aufgestellt werden. Mit Fachveranstaltungen wie dieser flankiert die BKG zukünftig den „Rahmenplan Zivile Verteidigung Krankenhäuser“ mit Fortbildungen zu konkreten Maßnahmen und spezifischem Fachwissen.

Marc Schreiner, Geschäftsführer Berliner Krankenhausgesellschaft: „Seit nunmehr fast vier Jahren versorgen die Krankenhäuser in der Ukraine Menschen bestmöglich unter Kriegsbedingungen. Von diesem Erfahrungsschatz können wir hier profitieren, um mit Weitblick und ohne Hysterie Krankenhäuser in Berlin krisenresilient aufzustellen. Dabei haben wir auch das benachbarte Brandenburg im Blick. Wir sind dankbar für die Übermittlung von Wissen aus erster Hand durch die Ärztinnen und Ärzte aus der Ukraine. Wir haben medizinische Versorgung unter Kriegsbedingungen besprochen, einschließlich Aspekten zu Personalbindung, Materialbeschaffung und der Zusammenarbeit mit anderen Versorgungsbereichen wie der Rehabilitation. Die Veranstaltung hat noch einmal gezeigt: Im Krisenfall muss ein klarer, einsatzbereiter Plan bereitliegen.“

Generalarzt Dr. Ralf Hartmann, MBA, Kommandeur und Ärztlicher Direktor Bundeswehrkrankenhaus Berlin: „‘Der Menschlichkeit verpflichtet‘ – das ist das Leitmotiv des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Diese Verpflichtung bringt es mit sich, auch für mögliche Krisensituationen vorbereitet zu sein. Dazu bedarf es vieler Maßnahmen. Unter anderem müssen Erkenntnisse und medizinische Erfahrungen aus aktuellen Krisenlagen ausgewertet und mit Gesundheitsversorgern geteilt werden. Berlin geht mit allen Beteiligten mit gutem Beispiel voran.“ 

Prof. Leila Harhaus-Wähner, Direktorin der Klinik für Hand-, Replantations- und Mikrochirurgie des BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin (ukb): „Die interdisziplinäre Fortbildung in gemeinsamer Verantwortung von ukb, Charité und Bundeswehrkrankenhaus für unsere ukrainischen Kolleginnen und Kollegen ist von großer Bedeutung, da sie ihnen die Fähigkeiten in Orthoplastik und Mikrochirurgie vermittelt – Fähigkeiten, die in der aktuellen Krisensituation lebensrettend sein können. Gleichzeitig war die gestrige Veranstaltung für uns deutsche Mediziner und Vertreter des Gesundheitswesens ein ebenso wertvoller Lernprozess. Die Erfahrungen der ukrainischen Partner sind für Berlin und seine Kliniken von hoher Relevanz, da sie uns helfen, unsere eigenen Vorbereitungen auf mögliche Krisen- und Bündnisfälle weiter zu stärken.“

Prof. Ulrich Stöckle, Geschäftsführender Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie der Charité: „Wir haben an der Charité seit Beginn des Krieges mehr als 100 Kriegsverletzte aus der Ukraine mit komplexen Verletzungsmustern behandelt. Zumeist waren dies Weichteil- und Knochendefekte mit multiresistenten Keimen, die ein interdisziplinäres Behandlungskonzept erforderten. Diese für uns bisher ungewohnten Verletzungen haben auf eindrucksvolle Weise erneut deutlich gemacht, wie wichtig langjährige Erfahrung und medizinisches Wissen in Krisensituationen ist. Gerade in der aktuellen Bedrohungslage ist daher der Austausch mit den Kollegen aus der Ukraine wichtig, die unter erheblich eingeschränkten Bedingungen die Verletzten sehr gut versorgen.“

Dr. med. Yüksel König, Ärztekammer Berlin: „Der Austausch mit unseren ukrainischen Kolleginnen und Kollegen hat für uns sowohl strategische als auch humanitäre Bedeutung. Ihre Berichte aus dem Kriegsalltag zeigen die enormen Belastungen des Gesundheitssystems. Deshalb ist es für uns entscheidend, aufmerksam zuzuhören und anschließend klar zu prüfen, wo wir in Deutschland fachlich, organisatorisch und in unserer Verantwortung als verlässlicher Partner stehen. Für mich sind solche Formate und gemeinsame Gesprächsrunden zentrale Instrumente, um unsere Zusammenarbeit nachhaltig zu stärken und unsere eigenen Strukturen kritisch zu betrachten. Dieses Treffen setzt ein klares Zeichen: Medizinische Solidarität wirkt über Grenzen hinweg, und wir gestalten sie aktiv mit.“

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Standpunkt: Zivile Verteidigung